Das 760-mm-Netz von Kecskemét in Ungarn

Wer als Eisenbahnfreund nach Ungarn kommt, sollte sich auf jeden Fall für die Schmalspurbahnen des Landes Zeit nehmen. Neben den in heimischen Gefilden wohl bekanntesten Strecken in der Hauptstadt Budapest (Kindereisenbahn) und in Balatonfenyves am Plattensee (Wirtschaftsbahn) bietet Ungarn zahlreiche weitere sehenswerte Schmalspurbahnen. Bis auf wenige Ausnahmen weisen diese Linien eine Spurweite von 760 mm auf, was auf die gemeinsame Vergangenheit von Ungarn und Österreich zurückzuführen ist. Das Wort „Kisvasut“, was auf deutsch Schmalspurbahn bedeutet, meint wörtlich übersetzt übrigens „Klein-Bahn“. Im folgenden soll das 760-mm-Netz von Kecskemét vorgestellt werden. Es ist das größte verbliebene Schmalspurnetz in Ungarn.

I. Aus der Geschichte des Netzes

Das heutzutage nahezu 100 Kilometer lange Netz ging aus der Feldbahn einer Ziegelei bei Alsómonostor hervor, die im Jahre 1917 eröffnet wurde. Sie wurde zur Brennholzanfuhr aus den Wäldern bei Bugac in die Ziegelei gebaut. An die Feldbahn schloß man neun Jahre später die Kleinbahnstrecke Kecskemét – Bugac – Kiskunmajsa an. Beim Bau dieser wurden zwei ehemalige deutsche Heeresfeldbahn-Dampfloks eingesetzt. Für den regulären Betrieb auf der „Kecskeméti Gazdasági Vasút“ (Kecskeméter Wirtschaftsbahn, KGV) standen nach der Betriebseröffnung am 12. September 1928 drei neue Dampfloks von MÁVAG (Budapest) zur Verfügung.

Die Schmalspurbahn brachte anfangs einen spürbaren Aufwind in diese bisher nur sehr schlecht erschlossene Region der Pußta. Sie hielt sich auch in den wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu Beginn der dreißiger Jahre am Leben. Ein wichtiges Standbein war bereits damals der Touristenverkehr, mit dem die Schmalspurbahn Gäste in die Bugacpußta beförderte. 1935 konnten zur Fahrzeitverkürzung sogar Triebwagen angeschafft werden.

Die KGV blieb bis 1949 im Besitz der Stadt Kecskemét, seitdem führten die Ungarischen Staatsbahnen (MÁV) den Betrieb. Im Jahre 1951 eröffneten die MÁV eine neue Strecke nach Kiskörös, die in Törökfái von der anderen Linie nach Kiskunmajsa abzweigt. Somit waren weitere Pußtadörfer, die man bisher nur schlecht erreichen konnte, an die Eisenbahn angeschlossen.

II. Das Netz heute

Am Bahnhof Kecskemét-KK am Stadtrand befindet sich heute der Ausgangspunkt des Netzes. Ursprünglich begann die Strecke weiter im Stadtinneren, doch der etwa zwei Kilometer lange Abschnitt zum Bahnhof Kecskemét-Rávágy tér wurde zu Beginn der sechziger Jahre stillgelegt.

Kecskemét-KK ist zugleich Betriebsmittelpunkt. Hier befindet sich das Depot der Schmalspurbahn, welches über einen zweigleisigen Lokschuppen verfügt. Das dritte Schuppengleis fiel vor einigen Jahren einem Straßenausbau zum Opfer. Allerdings hat man nun durch die dabei entstandene Brücke einen guten Blick von oben in das Depot. Beim Empfangsgebäude befindet sich eine Freiluft-Dauerausstellung mit verschiedenen Fahrzeugen von ungarischen Schmalspurbahnen. Darunter sind neben diversen Wagentypen auch eine Ns3 und eine zweiachsige Diesellok der Baureihe C50. Die Ausstellung wurde von der „Stiftung Eisenbahngeschichte“ aus Szeged eingerichtet.

Die Schmalspurbahn verläßt den Bahnhof und die Stadt Kecskemét in südwestlicher Richtung. Auf den ersten acht Kilometern bis Törökfái führt die Strecke meist parallel zur Straße 54. Unterwegs wird die Autobahn M5 von Budapest in Richtung Szeged unterquert. Bemerkenswert ist, daß beim Bau der Autobahn Mitte der neunziger Jahre ein Stück der Kleinbahn neutrassiert wurde!

Nach der Station Törökfái verzweigt sich die Strecke: Hier gehen die Linien nach Kiskunmajsa und Kiskörös auseinander. Der Ast nach Kiskunmajsa folgt bis Jakabszállás (km 16 ab Kecskemét) weiter der Straße 54, bevor die Strecke in die Bugacpußta abbiegt. Der Ort, der der Gegend den Namen gab, wird nach etwa eineinhalb Stunden Fahrtzeit seit Kecskemét erreicht. Bugac (km 28) ist für seine Reiterspiele bei Ungarnreisenden bekannt, die sich im Sommer gerne mit der Schmalspurbahn hierher bringen lassen.

Bei der Haltestelle Bugac felsö (km 31) läßt sich im Wald noch das Reststück der ehemaligen Ziegeleifeldbahn nach Alsómonostor erkennen. Der letzte Halt an der Strecke ist Szank (km 45), bevor nach etwa 52 Kilometern der Endpunkt in Kiskunmajsa erreicht wird. Die Schmalspurbahn endet stumpf neben den Gleisen der Normalspurbahn Kiskunhalas – Kiskunfélegyháza. Zum Umsetzen der Lok ist das Zurückdrücken des Zuges in den kurz zuvor bereits durchfahrenen Kleinbahnhof erforderlich. Hier gibt es noch einen eingleisigen Lokschuppen, der allerdings nicht mehr genutzt wird.

Während der Streckenast nach Kiskunmajsa – wie erwähnt – hinter Törökfái weiter der Straße folgt, biegt der andere Zweig nach Kiskörös nach der Ausfahrt aus dem Abzweigbahnhof rechts in den Wald ab. Nach 26 Kilometern (ab Kecskemét) erreicht die Strecke den Ort Orgovány. Die Schmalspurbahn befindet sich hier mitten in Kleinkumanien. Diese wunderschöne Gegend wurde u. a. aufgrund ihrer reichhaltigen Tierwelt stellenweise zum Nationalpark erklärt („Kiskunsági Nemzeti-Park“).

Über Dörfer wie Páhi (km 37) und Kaskantyú (km 43) führt die Strecke weiter, bis sie nach 54 Kilometern in Kiskörös endet. Vor der Einfahrt in den Endbahnhof muß die regelspurige Strecke Budapest – Kiskunhalas – Serbien niveaugleich gekreuzt werden. In Kiskörös gibt es noch eine Rollwagengrube. Allerdings baute man diese durch die Installation einer schmalspurigen Stirnrampe für den umgekehrten Verladungsweg um, so daß hier nun Schmalspurfahrzeuge auf Normalspurtransportwagen verladen werden können. Übrigens: Rollwagenverkehr gab es in Ungarn nur auf diesem Netz.

III. Der Fahrzeugpark

Den aktuellen regulären Betrieb auf dem Schmalspurnetz mit drei täglichen Personenzugpaaren pro Strecke bewerkstelligen Dieselloks der MÁV-Baureihe Mk48.2, die ab 1960 bei Rába in Györ (Raab) gebaut worden sind.

Für Sonderfahrten steht die 1942 von MÁVAG in Budapest gebaute Dampflok 490.053 (Dn2t) zur Verfügung. Sie trägt den Namen „Bugaci Kispöfögö“ („Bugacer Dampfroß“) und entstammt dem MÁVAG-Typ 70. Eine Lok dieses Typs hatte es während des Zweiten Weltkrieges nach Sachsen verschlagen, wo sie – von der Deutschen Reichsbahn als 99 2563 bezeichnet – kurze Zeit in Mügeln eingesetzt wurde, bevor man sie Mitte der fünfziger Jahre verschrottete. Für die Betreuung von 490.053 ist die „Stiftung Eisenbahngeschichte“ verantwortlich, der auch die Fahrzeugausstellung am Bahnhof Kecskemét-KK zu verdanken ist.

Die Personenzüge werden normalerweise aus zwei vierachsigen Wagen (ehem. Typen Bax und BDax) gebildet. Diese besitzen geschlossene Plattformen und tragen eine hellblaue Farbgebung. Die Wagen gibt es in verschiedenen Längen. Grüne Bax mit offenen Plattformen kommen in Sonderzügen zum Einsatz. Von den grünen Wagen waren in Kecskemét im Herbst 2002 sechs Stück vorhanden. Planmäßigen Güterverkehr gibt es seit Ende der achtziger Jahren nicht mehr, doch an einzelnen Stationen stehen noch zahlreiche Wagen.

IV. Allgemeines

Auf allen ungarischen Schmalspurbahnen finden alljährlich sogenannte Besuchertage statt. Auf und entlang der Bahnen gibt es dann besondere Veranstaltungen. In Kecskemét wird der Besuchertag am zweiten Samstag im August begangen, in diesem Jahr am 9. August. Dann beginnt um 9 Uhr eine Dampfsonderfahrt von Kecskemét nach Bugac. Einen Tag zuvor gibt es anläßlich des 75. Jubiläums der Strecke Kecskemét – Kiskunmajsa Draisinenfahrten auf diesem Abschnitt. Weitere Auskünfte dazu erteilt Tibor Bacsinszky, Telefon 003630/2047705; E-Mail: „bacsi@elender.hu“.

Bei einem Besuch im Oktober 2002 nutzten nur wenige Fahrgäste die Reisezüge. Trotzdem erfüllt die Kleinbahn aufgrund von fehlenden oder schlechten Straßen nach wie vor eine wichtige Transportaufgabe. Die Fahrt Kecskemét – Kiskörös bzw. Kecskemét – Kiskunmajsa dauert pro Richtung etwa zweieinhalb Stunden. Die genauen Zeiten sind dem MÁV-Kursbuch (Nr. 148/149) zu entnehmen oder im Netz unter „www.kisvasut.hu“ zu finden. Eine einfache Fahrt von Kiskunmajsa nach Bugac (etwa 25 km) kostete im Vorjahr 150 Forint, was damals gut 60 Cent entsprach. Ein Besuch der Bahn ist jedem Eisenbahnfreund zu empfehlen, da das Netz bereits seit längerem auf der Liste der einstellungsgefährdeten Strecken der MÁV steht.

Julian Nolte

Quellen:
Th. Allgaier: Reiseführer zu den Schmalspurbahnen in Ungarn, Röhr-Verlag, 1999.
Tusnádi/Knausz: Ungarns Schmalspurbahnen, Pallas Stúdió, 1997.


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